Michail Schaiber-Sokolski: Ars erotica in Stalinabad. (Libri Meiningenses). Aus dem Russischen von Erika Beermann, Nachwort Bernd E. Scholz, Weimar (Lahn) 2015, 128 Seiten. ---
Bei Durchsicht der nach dem 2. Weltkrieg über Moskau 1949 nach Stalinabad (ab 1961 wieder Duschanbe, Tadschikistan) verbrachten Herzoglichen Bibliothek von
Meiningen entdeckt der Autor gemeinsam mit der Bibliothekarin ein Erotikon des 18. Jahrhunderts. Das reich illustrierte Werk der Aufklärung wird für den neugierigen und sprachkundigen 26 Jahre alten
Leser, Michail Schaiber-Sokolski, zur Quelle vielfältiger praktischer Anwendungen... Welches Werk könnte es gewesen sein? Wir wissen es nicht, denn die Herzogliche Bibliothek ist bis heute – bis auf
einige wenige Exemplare – nie wieder aufgetaucht, »verschollen«, wie es auf der Webseite der Meininger Bibliothek heißt. »Verschollen« auch deshalb, weil man einem Hinweis des Autors von 1970 nicht
nachgegangen war, bzw. nicht nachgehen wollte.
Neben zahlreichen flüchtigen Amouren findet sich die ergreifende und unerfüllt-unerfüllbare spirituelle Liebesgeschichte des heranreifenden russisch-jüdischen Gelehrten zu einer sich aus den Fesseln
muslimischer Traditionen befreienden ›orientalischen‹ Dozentin der Anglistik – Malokhat Shakhobova (gest. 2003). In einem Nachruf heißt es: »Developing ›The European Students’ Union‹ in Tajikistan
and spreading English language throughout her country was the explicit aim of her life. She will be remembered as a prominent person not because of her position but because of her energy and
brightness and her honest und straight forward personality.«
Beim Verfassen seiner umfangreichen Lebenserinnerungen in Moskau Anfang der 1990er Jahre erlebte die Sowjetrepublik Tadschikistan einen Bürgerkrieg von »ungeheuerlichem Ausmaß«, ein russisches
Trauma, das bis heute nachwirkt. Umso erstaunlicher mutet daher die vom Autor, der bereits 1965 in seine Geburtsstadt Moskau zurückgekehrt war, beschriebene Reaktion seiner Freunde nach der
gewaltsamen Exilierung an: »Nach ihrer Übersiedlung nach Moskau erklärten sie alle ... Duschanbe sei Vergangenheit, sie wollten nicht mehr daran denken ... Eine so völlige Unterdrückung natürlicher
Nostalgie lässt sich, so scheint mir, nur auf eine Weise erklären: mit dem verborgenen, unbewussten, intuitiven Gefühl, an einem gigantischen, universal-historischen Prozess teilzuhaben …«
In Deutschland, das 1989/90 auch am »universal-historischen Prozess« teilgenommen hatte – und das mit glücklichem Ausgang, bleibt im Oktober 1994 jegliche Reaktion auf seinen Leserbrief an die
»Frankfurter Allgemeine Zeitung«, in dem er auf die Meininger Bücher in Duschanbe hinweist, aus. Auch die später teilweise erfolgreichen Restitutionsbemühungen in Meiningen beschlagnahmter Kunst
durch Regina von Habsburg (Prinzessin von Sachsen-Meiningen, 1925-2010) berühren die Meininger Bestände in Duschanbe nicht. Ebensowenig sollte die zuletzt von Gabriela von Habsburg 2013 in der
Zeitschrift »Cicero« gelegte Spur weiterführen. Führt zu ihnen jetzt vielleicht das ›Meininger Erotikon‹?
Wer den Blick heute von Deutschland nach Tadschikistan wirft, wird eher aufmerksam auf die dort wie in Wismut (SBZ/DDR) 1945 in Gang gesetzte gigantische sowjetische Uranproduktion, die 1949 zur
ersten sowjetischen Atombombe führte. Michail Schaiber-Sokolski war dies Anlass genug, später im »Samisdat« einen Essay »Der Geist angesichts der Weltkatastrophe« zu verbreiten. Heute scheinen wir
daher weniger versucht, von einem »universal-historischen Prozess« zu sprechen, als von einer universal-historischen Utopie, die immer noch auf ihre Erfüllung wartet und der Michail Schaiber-Sokolski
immer wieder in seinen zahlreichen Schriften – russisch wie deutsch – vielfältigen Ausdruck verliehen hat. Ein sehr kleiner Teil davon wurde daher hier als »Ars erotica in Stalinabad« von Erika
Beermann aus den unveröffentlichten russischen Erinnerungen «Vernaja pamjat’» – »Getreues Gedächtnis«, Moskau 1992-1996 – 2. Teil: 1946-1991, Kapitel 76, filigran übersetzt und vom Herausgeber um ein
Nachwort und einige Abbildungen von Meiningen und zwei Photographien des Autors ergänzt.
Nach "Ich war in Berlin - 1927-1933" die zweite Übersetzung aus den russischen Erinnerungen des Autors.
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