Bernd von der Walge
Bernd von der Walge
Bernd von der Walge
Bernd von der Walge

Die mit über 800 farbigen Abbildungen aus 186 Titeln reich illustrierte Moskauer Buchsammlung ›ALEXEJ & SERGEJ WENGEROW‹ enthält neben Russischem auch viel Europäisches. Dies zeigte 2004 ihr seitdem mehrfach preisgekröntes Buch »Es war einmal ein Zarenreich... Bibliochronik 1550-1975«. Auf dem antiquarischen russischen Büchermarkt hat es längst Kultstatus erreicht, wovon sich heute, 2016, jeder Russischkundige auf der russischen Internetseite www.raruss.ru leicht überzeugen kann. Die deutsche Ausgabe macht deutlich, was der »Welt von gestern« (STEFAN ZWEIG) noch als selbstverständlich galt: die Gemeinsamkeit der ost- und westeuropäischen Buchkultur. Selbst die schwärzesten Schatten der Geschichte des 20. Jahrhunderts haben diese gemeinsame ›Urheberschaft‹ nie zur Gänze auszurotten vermocht. Der unausgesprochene ›Held‹ dieses Buches aber ist der beharrlich am kulturellen Erbe seiner Väter und Vorväter festhaltende private Sammler, der mit viel Geschick allen Widrigkeiten der Zeitläufte zum Trotz das in seinen Augen Bewahrenswerte für die Mit- und Nachwelt unter seinen persönlichen Schutz nimmt. Im idealen Fall, und dieser scheint hier vorzuliegen, weist die Geschichte dieser privaten Sammlung weit über sich hinaus in die allgemeine Geschichte der Menschheit, den Dialog der Kulturen. Die kenntnisreich erzählten Schicksale der 186 einzelnen Sammlerstücke ergeben in der Summe eine sehr menschliche, sehr konkrete Sicht auf Gewesenes und Gedachtes. Selbst der hartnäckigste Anhänger institutionalisierter, d.h. zumeist verstaatlichter, Kultur wird sich dem besonderen ästhetisch-sinnlichen Reiz des hier Dargebotenen kaum entziehen können. Die Verfasser der Chronik sind nach eigener Aussage bestrebt gewesen, den Bericht über die Bücher, ihre Autoren, Verleger, Buchbinder und Besitzer in den Kontext der russisch-europäischen Geschichte zu stellen. In chronologischer Reihenfolge angeordnet — angefangen mit dem ersten genau datierten Druck eines russischen Buches, dem »Apostel«, (1564) bis hin zu Büchern aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts — , berichtet die Chronik nicht nur von konkreten seltenen Exemplaren, die in bibliophilem Zustand erhalten sind, sondern sie vermittelt auch eine eigene Version der Geschichte Russlands, indem sie diese durch das Prisma der ›Geschichten der Bücher‹ gesehen darstellt. Anfang der 1990er Jahre kehrte die europäische Staatenwelt wieder zu den Grundsätzen eines freizügigen geistigen Austauschs ihrer Bürger zurück. Jetzt, nachdem ein Vierteljahrhundert vergangen ist, zeigt sich, dass in dieser Zeit einer zunehmenden — auch informationellen — Verdichtung des gesamteuropäischen antiquarischen Büchermarktes, der Präsenz dieses Marktes im weltweiten Internet, originale Meisterwerke der russischen Buchkunst nach Russland ›heimgekehrt‹ sind: Erstausgaben, Bücher mit Autographen, »Rossica«. Der russische Sammlerenthusiast stellt daher zu Recht fest, dass viele in die Chronik eingegangene Ausgaben allein deshalb bis in unsere Tage überlebt haben, weil sie sich einmal »in der Emigration« befunden haben.

Der deutschen Ausgabe geht es aber auch um ein in Deutschland nahezu verloren geglaubtes Bildungsziel: Mit der aus profunder Kenntnis des Gegenstands hervorgegangenen Leichtigkeit der Darstellung und dem damit einhergehenden ästhetischen Wohlgefallen das dramatisch abklingende Interesse am alten Buch neu zu beleben und somit dem »unwiderbringlichen Verlust kultureller Traditionen« (NAVID KERMANI) entgegen zu wirken.

Dass — frei nach VLADIMIR VERNADSKY — dem entropischen Kältetod der Biosphäre zu begegnen jedoch am ehesten gelingt durch lebendige Anverwandlung des Vergangenen, ihre schöpferische Multiplikation, legen die 12 aktuellen Illustrationen der Frankfurter Künstlerin ANDREA SIMON nahe, die zusammen mit ihrem Umschlag der Chronik ein atemberaubendes zeitgenössisches Antlitz verliehen hat — im Mai 2016. Wer hierin eine paradoxale Konfrontation mit unseren vergangenen Gegenwärtigkeiten sehen möchte, dürfte der Intention der Chronik am nächsten kommen.

 

(Bernd E. Scholz, im Juni 2016)

 

Nachtrag am 7. November 2016: Einen ersten Eindruck für den deutschsprachigen Leser von der Dimension des Projekts "Bibliochronika" vermittelt ein Blick in die bibliographische Zusammenstellung der bisher erschienenen Bände und ihre Existenz in deutschen Bibliotheken. 

 

Die deutsche Ausgabe von "Es war einmal ein Zarenreich..."  wurde in der Deutschen Botschaft in Moskau am 27. Oktober 2016 vorgestellt:

 

https://www.youtube.com/watch?v=IqblAixQmrg

oder auf der Webseite von "Bibliochronika":

http://xn--80aba1abaoftjax8d.xn--p1ai/%D0%9D%D0%BE%D0%B2%D0%BE%D1%81%D1%82%D0%B8/171%D0%B2-%D0%BD%D0%B5%D0%BA%D0%BE%D1%82%D0%BE%D1%80%D0%BE%D0%BC-%D1%86%D0%B0%D1%80%D1%81%D1%82%D0%B2%D0%B5187-%D0%BF%D0%BE-%D0%BD%D0%B5%D0%BC%D0%B5%D1%86%D0%BA%D0%B8

 

Weltweit zugänglich gemacht wurden alle bisher erschienenen russischen Ausgaben im PDF-Format durch die Rechteinhaber Anfang Januar 2017 auf dieser Webseite:

http://библиохроника.рф

 

Das Projekt "Bibliochronika" - Eine Bibliographische Zusammenstellung
Enthält alle bisher erschienenen Bände und ihre Verteilung auf die Staatsbibliotheken von Berlin (1a) und München (12).
AAV_Projekt_BibChr_91116.pdf
PDF-Dokument [5.5 MB]
Übersetzung des Interviews von Alexej A. Wengerow mit Iwan Tolstoi im "Radio Svoboda" (Prag, im April 2016)
"Dieses Buch,wie auch die vorangegangenen der »Bibliochronik« — und hier wende ich mich an die Verleger, muss man in hoher Auflage herausgeben und verbreiten, sei es auf billigerem Papier, sei es in schlichterem Einband, aber in hoher Auflage; man muss es an den Schulen verbreiten, den Universitäten, in Bibliotheken und Museen, in unserem Land und weltweit. ... Hier muss man investieren statt anderweitig: in die Geschichte, in die Schönheit, in intellektuelle Befriedigung." (Iwan Tolstoi in Radio Svoboda, Prag, im April 2016)
AAV_Biblioch_WEB_716.pdf
PDF-Dokument [719.4 KB]

Bestellung ist möglich unter (available on):

https://www.amazon.de/war-einmal-Zarenreich-Bibliochronik-1550-1975/dp/3926385790

oder über www.buchhandel.de

Aus dem Russischen übertragen von Erika Beermann (Weimar/Lahn)

Mit einem ergänzenden Vorwort "Zu diesem Buch aus deutscher Sicht" und einem "Deutschen Epilog" von Bernd E. Scholz

Umschlaggestaltung und künstlerische Ergänzungen im Innenteil von Andrea Simon (Frankfurt am Main)

Bindung: Softcover

Umfang: 438 Seiten

Über 800 4/4-farbige Abbildungen

Format: 8,5x11 inches (Letter); 21,54x27,94 cm

Gewicht: 1,31 kg

Lieferzeit: in der Regel nicht mehr als 2 Werktage

ISBN 978-3-926385-79-6 (Bernd E. Scholz)

Preis: 96,00 Euro

Druckversion | Sitemap
© Bernd E. Scholz